ABSOLVENTEN 2013/2014

INTELLIGENTE REVISIONEN

Prof. Ingeborg Harms

Design und Mode sind heute allgegenwärtig, in den städtischen Zentren fühlt man sich von Kleidern und Objekten geradezu umstellt. Der Skeptiker mag sich fragen, ob nicht auch die hier vorgestellten Absolventen der Universität der Künste nicht zu bloßen Lieferanten der Konsumindustrie ausgebildet worden sind. Und doch zeigt der genaue Blick auf ihre Abschlussarbeiten, wie sehr diese jungen Designer vom Wissen um das Zuviel, die unreflektierte Kopie, das Maß und Gedankenlose beseelt sind. Gerade im Produktdesign geht es um Verdichtung, Reduktion, Vereinfachung, wobei die Ergebnisse oft das Resultat lebensweltlicher oder arbeitstechnischer Analysen sind, die uns von Umwegen befreien und mit verblüffenden Lösungen beglücken. So kommt ein kompakter Küchenarbeitsplatz im Geiste einer Werkbank bewegungsbehinderten Nutzern entgegen, dem städtischen Imker hilft der von traditionellen Bienenkörben himmelweit entfernte Entwurf einer durch Module flexibel nutzbaren Honigfalle, während eine andere Arbeit das fatale Umstülpen handelsüblicher Regenschirmmodelle in die Aufspannmechanik integriert. Eine Kuscheldecke mit integrierten Lautsprechern entwaffnet die Musik-Unkultur, und ein zur Kontaktknüpfung prädestiniertes Holzgerüst geht gegen die Verödung öffentlicher Räume vor. Mutationsfreudige Büro-Elemente träumen in fragmentierten Kurven von der Forumsatmosphäre südlicher Arenen und ein serielles Walzverfahren für Holzoberflächen von ästhetischen Hybrid-Effekten. Die Beobachtung, dass ein Turnschuh durchs Tragen an Wert gewinnt, weil der individuelle Fuß ihm seine Form einprägt, führte zu einem Konzept für erneuerbare Sohlen, und der Ehrgeiz, die Luft ins Design zu integrieren, zu einem pneumatisch aktivierbaren Kopfschutz. Systematisch objektivierte Bewegungsprinzipien bringen neue funktionale Bauteile hervor, ornamentale Modelle mathematischer und geometrischer Sachverhalte überwinden die Grenzen unserer Vorstellungskraft, und eine Armbanduhr, die unseren persönlichen Stresspegel mißt, plädiert für einen unentfremdeten Alltagsrhythmus.

 

Manche Lösungen haben eine spirituelle Dimension, sie präsentieren emphatische Objekte, die den funktionalen Zug des modernen Lebens unterbrechen. Häusliche Ordnungsbehälter machen unheimliche Mutationen durch, Wäschekörbe stapeln sich zum Totempfahl, ein Hinkelstein wird gar zum Abstellschrank, während pulsierende Steine und abgründige Spiegel sich als Meditationsmedien der Zeitlichkeit empfehlen. Bei den Modearbeiten ist eine Kritik der Tendenz zur Selbstdarstellung zu beobachten, wie sie in Selfies, sozialen Netzwerken, auf Modeblogs, aber auch im Sport und der Kulturindustrie virulent ist. Zu Inspirationsquellen werden Elfenmärchen, vernachlässigte Ort oder auch die verstörend melancholische Kraft historischer Gemälde. Zugleich finden die Kollektionen formal überzeugende, oft witzige und immer nachdenklich machende Antworten auf den gesellschaftlichen Druck, den Körper sichtbar zu machen. Die im »Porn Chic« gipfelnde Vorliebe für die Betonung erogener Zonen wird von einer S/M-Burleske ad absurdum geführt, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ornament gestaltet sich als Hommage ans Feigenblatt, und die Reflexion auf ethnische Wurzeln bringt Modeentwürfe für transkulturelle und sittlich polyglotte Nomaden hervor. Besondere Kraft entfalten Ansätze, die sich am Schnittpunkt westlicher Couture und islamischer Kleidungsvorschriften positionieren. Im Rückgriff auf eine von der Stretchmode ad acta gelegte Schnittkunsttradition entstehen Brücken, die aktuelle Verhüllungsdebatten auf visionäre Weise entschärfen. Design macht keine Politik, sagen die hier versammelten Arbeiten, aber es ist auf immense Weise politisch.